Samstag, 25. Juni 2011

Morgen.






Jetzt ist es raus.


Ich liebe Männer. Liebe es, wenn sie leidenschaftlich ihre Autos polieren, in der Öffentlichkeit genüsslich furzen und rülpsen. Wie sie sagen „Ich geh jetzt kacken“, wie ihre Blicke jedem Wesen folgen, das entweder blonde Haare oder Hupen hat, wie sie von ihrem letzten Fitnessstudiogang berichten oder wie sie nachts friedlich neben einem schnarchen. Wie sie mit großen Schritten in brennende Häuser rennen, ein verletztes Eichhörnchen vom Baum holen oder sich gegenseitig mit Wasser bespritzen. Ich liebe den tiefen Ton ihrer Stimme, ich liebe ihre kurzen Haare und ihre meist kahl rasierte Brust. Ich liebe ihre abfälligen Worte über fette Patienten und sehe ihnen gerne beim Essen riesiger Portionen zu. Ich liebe Feuerwehrmänner. 

Herz schlägt Kopf.




Ich verlasse dich jetzt, weil ich dich liebe. Weil du mich trägst, verteidigst, mich klüger machst, betrügst. Ich wollte alles, du vielleicht. Vielleicht sagt das alles, ganz oder gar nicht. Aus Gemeinsam wurde Einsam. 
Seit ich frei bin fesselt mich die Sehnsucht. Die Neugier zieht mich an den Haaren und die Unabhängigkeit ist meine Droge, eine Sucht nach dem Leben, einem Leben ohne dich und mich. 
Ich kann ihn nicht finden, den Glauben an Neues. Die Liebe ist scheu, sucht vielleicht nach deinem Gesicht. „Vergiss es“, habe ich ihr gesagt, zeige ihr ständig neue Gesichter. „Vergiss es“, sagt sie. 
Ich habe dich verlassen, weil ich dich liebe. 
Seitdem habe ich nie wieder eine Entscheidung mit dem Kopf getroffen. 

Donnerstag, 16. Juni 2011

Freitag, 10. Juni 2011

Kunst Blut.







Ich sehe was, was du nicht siehst.



Person in Notlage, die zehnte in zehn Stunden. Der Alarmzettel kündigt Gasgeruch aus einer Wohnung an. Beim Eintreffen scheinen sowohl Gasspezialisten als auch die Feuerwehr vor Ort zu dein. Ich schiebe langsam die Türe auf und schon wird mir eine kleine, zierliche Person hineingeschoben. „Einmal alles!“, so der Kollege. Ist das die Person aus der Wohnung? „Wie geht es dir?“, keine Antwort. Blass und abgemagert sitzt sie vor mir. „Was ist passiert?“ „Gasgeruch in meiner Wohnung, irgendwas geht da vor sich.“ Und was vor sich geht, bemerke ich nach wenigen Sekunden. Hier sitzt eine vollkommen verwirrte Frau vor mir, vollgepumpt mit irgendwelchen berauschenden Dingen und fernab jeglicher Realität. 
Toktoktoktok.. das Herz rast. Ihr Herz. Ich denke an Speedy von letzter Woche und an Superman von gestern. Superman hatte eine blaue, äußerst enge Supermanunterhose an und ein knappes Superman T-Shirt. Den ganzen Körper mit Sätzen und Zeichnungen bemalt. Und als Superman kann man natürlich ohne Bedenken vor irgendwelchen Zügen auf den Bahngleisen herumhüpfen. Kinder, die Drogen!!! 
„Weißt du, der Fernseher bezieht mich immer mit ein.“ Uiuiui. „Der spricht mich an, die Personen im Film sehen mir in die Augen und wissen Dinge, die niemand Fremdes über mich wissen kann.“ Ich schreibe mein Protokoll. Wahrnehmungsstörungen. „Da war dieser Gasgeruch, ich habe auf die Wand eingeschlagen und erreiche einfach meine Mutter nicht, irgendwas ist passiert.“ Sie weint. Taschentücher her und direkt fragen. Drogen? „Ja, ich habe gekifft und Speed genommen.“ Wie viel? „Ich kann dir das schon gar nicht mehr sagen.“ Machst du das jeden Tag? „Ja.“ Sie scheint das schon über Monate zu tun. Ab in die Psychiatrie, mit Sonderrechten. 
Tatüütataaa.. sie verzieht das Gesicht, greift sich brutal in die Haare, brüllt. Schiebt Panik aber es geht nicht anders. „Weißt du, da waren diese Fledermäuse, 3 Stück und das in meinem Zimmer.“ 
Ich denke an weiße Mäuse oder Elefanten in Kirschbäumen. 
„Ich habe Pakete bekommen, die ich nicht wollte, nie bestellt habe. Natürlich ab in den Müll damit, aber manche ließen sich einfach nicht zusammenklappen. Warum ist dieser Mann hier?“ Ich folge ihrer Blickrichtung. „Oh nein, oh nein, mein Opa, er ist tot, er steht hier, er sieht so tot aus.“ Sie weint. Ich schreibe auf das Protokoll: Pat. sieht tote Menschen. Nicht grinsen, Maria. Sie sieht mich an. 
Alle fünf Minuten beschimpft sie mich, dreht mir gefährlich die Worte im Mund um. Ich reagiere nicht darauf, warum auch, in spätestens zehn Sekunden geht es weiter mit ihren Bildern und Stimmen, die sie hört. „Sie haben mir die Unterwäsche geklaut und Schokolade hineingeschmiert. Ich habe das gesehen und..“ sie weint wieder. „Manchmal glaube ich, ich bin ein Computer.“ Sie fasst dich an die Brust.“ Nun trage ich ihre Personalien ein. 
Mein Jahrgang- nur in Haut und Knochen.
 „Da war eine Party, sie haben Chilipulver verstreut. Weißt du eigentlich, was Anke heute macht?“ Keine Ahnung. Sie schweigt. „Timo hat eine schreckliche Frisur, war er gestern bei dir?“ Nein, er hat sich seit Wochen nicht mehr bei mir gemeldet. 
Superman kannte mich übrigens auch, aus der Theatergruppe. Ich spiele kein Theater, weiß er aber nicht. 
Sie redet geschlagene 30 Minuten, endlich da. Ab in die Klinik, wir müssen an der Anmeldung warten. Sie macht auf dem Absatz kehrt und rennt nach draußen. Stehen bleiben!! Sie hört mich nicht. Wahrscheinlich bin ich nur eine ihrer vielen Stimmen. Draußen sitzt sie mit einer Zigarette, ich lasse mich daneben nieder. Sie beschimpft mich, alles kacke. Maria, kommst du mal? Die Psychiaterin lehnt sie ab, wir müssen zurück in eine andere Klinik. Das muss ein Scherz sein. „Meinst du, du bekommst das hin? Wird sie mitgehen?“ Ohne Tatüütataaa ganz bestimmt. Sie schimpft, wir einigen uns auf eine leise Fahrt und hopp zurück in den Rettungswagen. In einer Stunde ist Feierabend. 
„Da ist immer eine Party in unserem Flur.“ Die Party bei mir ist längst vorbei. Sie redet, ich nicke, antworte, frage. Den gesamten Weg zurück. 
Angekommen, ab in die Rettungsstelle und weg ist sie, rennt die Straße hinunter. Ich hinterher. Wenn sie jetzt geht, war diese eine Stunde Wahnsinn umsonst. Es ist warm und mein Kreislauf nicht mehr der Beste. Sie sitzt hinter den Büschen. Ihre Beine baumeln nach unten. 3 Meter. Ich setze mich neben sie. „Alles scheiße, ich will nur alleine sein, mich ins Bett legen.“ Es ist nicht gut, dass wir hier auf der Mauer sitzen, wenn sie abstürzt habe ich ein Problem. „Was sind das für rote Tiere? Ratten?“ Sie will aufspringen, ich bin schneller. Soll ich sie gleich am Kragen packen und nach hinten ziehen? Unter Alkoholeinfluss wäre sie hinabgestürzt doch so steht sie sicher auf der Kante. Los, lass uns reingehen. Tapp tapp tapp wieder in die Rettungsstelle. Schnell Leute, besorgt ihr doch ein Bett, wo ist nur die Ärztin. Ich spüre die Wut in mir aufsteigen. Meine Hände zittern, ich habe nichts gegessen. Grosse kommt kauend aus dem Schwesternzimmer. Schnell, hast du mir was zum reinbeißen? Er reicht mir eine Banane. Ich vergesse tatsächlich, dass ich Bananen nicht mag, dass ich fürchterlich Durst davon bekomme. 
Es ist die beste Banane meines Lebens. 
Ich blicke auf, sie ist weg. Nicht die Banane sondern meine Patientin. Hinter dem Gebüsch auf einer Wiese sitzend finde ich sie wieder. Rufe meinen Kollegen auf dem Handy an, er solle mir bitte nur dann Bescheid geben, wenn sie auch tatsächlich einen Plan hätten, wo wir mit ihr hin können. „Bring sie her, sie wird fixiert.“ 
Baaam.
Sie vertraut mir, ich führe sie ins Zimmer, ich drehe mich mit dem Rücken zu dem, was dann passiert. Sie kann nicht mehr weg. „Hört auf zu reden, ihr Opfer.“ Ich kann nicht mehr reden, will nicht mehr reden. Stelle mir nicht die Fragen nach dem Warum, wie es so weit kommen konnte, was aus dieser Frau noch wird. Was sie wird, leben oder demnächst sterben. Die Gedanken kommen nicht hoch, sammeln sich und drohen herauszubrechen. Ich schreibe auf meinen Handschuh „Ich will jetzt irgendwo reinschlagen.“ Grosse antwortet ebenfalls mit einer Handschuhbotschaft. Ich muss lächeln, das erste Mal seit mehreren Stunden. Zurück auf der Wache trage ich die Einsätze ein, wortlos. In der Tram setzt sich eine Frau neben mich, ich blicke sie an. Blaue, lange Schlagen zieren ihr Haupt.