Sonntag, 21. August 2011

Es bleibt.



Es ist ein Kopfschütteln, über Stunden. Die Stufen der Treppe zum Eingang scheinen höher, der Gang zum Altar weiter als sonst. Der Blick will nicht nach Vorne sehen, starrt auf die Füße, die sich immer weiter fortbewegen, bis hin zur ersten Reihe. Es ist Fassungslosigkeit, fast nicht zu ertragen. Es gehört sich nicht, dass es Särge auch in klein gibt. Dass Eltern vor einer geschmückten Kiste sitzen. Ihr Kind nicht in den Armen halten sondern hinter ihm Richtung Friedhof laufen müssen.
Was tun, wenn die Tränen fließen, der Mund lautlos offen steht, die Finger sich verkrampft an einer Sonnenblume festhalten. Mitgefühl einen ohnmächtig macht, Hände schütteln wie Ohrfeigen sind. Du möchtest singen, ein letztes Mal, merkst, dass die Töne entgleiten. Du schüttest Erde auf diesen kleinen Menschen, statt ihn später einmal gießen zu können. Es gibt nur ein Hinnehmen und Abschied nehmen, kein Verstehen. Sie geht, du gehst. Das Kopfschütteln bleibt.





Just in time für Fortgeschrittene.



Um 6 Uhr am Flughafen Schönefeld, ja? Kein Problem, ich werde pünktlich sein. Schließlich ist um 14 Uhr schon die Beerdigung der kleinen Martha, im tiefsten Schwarzwald. Und zu Hochzeiten und Beerdigungen sollte man nicht zu spät kommen. Man sollte nie zu spät kommen, denn wer zu spät kommt, den bestraft das Leben. Habe ich verstanden!

Wenn ich um 6 Uhr am Flughafen sein soll, dann muss ich um 3 Uhr nachts aufstehen. Das ist nicht machbar. Die RedBull Dosen reihen sich auf der Fensterbank aneinander und an Schäfchen zählen ist nicht zu denken. Mein Plan scheint aufzugehen, kein Schlaf, kein Verschlafen. Dafür werde ich bezahlen müssen.

Es ist 2 Uhr. Alle Serien sind gesehen, alle Dosen geleert. Duschen? Packen? Ich könnte doch nur eine Stunde schlafen. Wecker auf 3 Uhr und die Bettdecke über den Kopf.

„Ring, ring, ringr....r..r..ring..“
Wo ich bin? Wo ich bin? Sag, wie viel Uhr ist es!!!!

Das Leben hat die Nase voll von meinem Zeitmanagement.

Fuck! Fuck fuck fuck!! Ich drehe mich wie ein Kreisel durch mein Zimmer, schnappe mir ein Handtuch und die Klamotten. Duschen, Haargummi rein und irgendwie angezogen aussehen. In meinem Zimmer stecke ich alles, was mir für einen Tag Abwesenheit wichtig erscheint, in meine Tasche und renne aus dem Haus. Statt 3 Uhr ist es nun bereits kurz nach fünf. Ich reiße die Tür eines Taxis auf, springe hinein: „Einmal zum Flughafen, schnell schnell, fahren Sie los!“ Er sieht mich an, ich sehe vertrauenswürdig aus. Eine Vertrauenswürdige auf der Flucht? „Los los! Ich muss um 6 Uhr am Flughafen sein!“ Er tritt in die Pedale. „Haaaaaalt!“ Ich sehe eine Sparkasse. „Halten Sie bitte ganz kurz an, ich habe keine Kohle dabei, ich muss noch eben was abheben.“ Der Taxifahrer schaut mich an, ich glaube er sieht, dass die Lage ernst ist. Wir flitzen durch halb Berlin.

Zeitmanagement ist alles.
Alles, nur nicht billig.

Ich blicke kurz auf die Scheine, die ich dem Taxifahrer in die Hand drücke. Dann drücke ich mein Schwesterherz, blicke auf die Uhr und bin glücklich. 6 Uhr.


Freitag, 19. August 2011

Leiden unter Eingeweiden.



Heute besuchen wir eine Leiche. Der Name GERICHTSMEDIZIN klingt ebenso spannend wie bedrohlich. Ich habe schlecht geschlafen, möchte kein Weichei sein. Die Kühlschranktür bleibt geschlossen. Nur Weicheier füllen ihren Magen, meiner bleibt flau.
Ich unterschreibe, dass nichts aus den kalten Hallen nach außen dringt. Ganze drei Stunden verbringe ich mit kontinuierlicher Übelkeit. Man zieht einem Menschen nicht seine Frisur über das Gesicht, man schneidet nicht mit einer Geflügelschere die Rippen entzwei und der Kochlöffel gehört in die Suppe und nicht in die Blase.
Einst waren es gierige Blicke in das Innere eines Menschen, heute sind es Augenblicke der Selbstbeherrschung. Es ist kein echter Mensch, zumindest ist er mausetot. Du hast schon so viele tote Menschen gesehen. Ich fasse den Magen an, das Herz, die Rippen. Faszination trifft Ekel. Es gibt nur einen Stuhl. Ich setze mich, versuche ausschließlich durch den Mund zu atmen. Die Pathologin drückt den Stuhl aus seinem Darm. Ich blicke lieber schnell zur Seite. Mein Blick bleibt am Gehirn hängen, das einsam auf dem Nachbartisch liegt. Mensch, du hast in diesem Moment aufgehört, ein Mensch für mich zu sein.
Sie stopfen Pappe in den leeren Schädel und nähen grob seinen Hinterkopf an seinem Gesicht fest.
Mit gesenktem Kopf laufe ich nachhause. Das Weichei wird nie Pathologin werden. 


Sonntag, 7. August 2011














An Zuhause.



Liebe Mama, lieber Papa,

ich freue mich so sehr, dass ihr mich bald besuchen kommt. Programmpunkte gibt es viele, was das Essen betrifft. Papa, möchtest du vielleicht zu einem Fußballspiel ins Stadion? Ich war letzte Woche beim 1.FC Union Berlin. Hätte dir gefallen!!

Wenn das Wetter schön ist, gehen wir mal auf unser Dach. Die Leiter vom Dachboden ist furchtbar aber der Blick über Berlin wird euch umhauen. Ich möchte mit euch frühstücken, Papa, du bekommst Honig und Mama und ich gönnen uns ein Croissant. Das „Familie-sein“ fehlt mir hier so sehr. Schwesterherz und ich arbeiten einfach zu viel und sehen uns kaum. Ich werde am Flughafen sein, viel zu früh. Weil die Zeit zwischen dem letzten Wiedersehen und jetzt einfach viel zu lang war.

Ich verbleibe wie immer mit den besten Grüßen,

Tochter Maria