Samstag, 23. Juli 2011

Besucher.






Kommen und gehen.



„Ja und dann reanimierst du auch und so?“
Am Anfang habe ich für jede Reanimation einen Kuchen für meine Kollegen gebacken. Für mich war das die Königsklasse. Eine tote Person wieder zurück ins Leben holen, mann mann mann. Auf dem Brustkorb rumzuspringen, beatmen. 
Nun habe ich Muskelkater, bin schlecht gelaunt weil ich rechtlich anfangen musste und einen bereits totkranken Menschen auch noch bettlägrig und zudem noch dumm gemacht habe. Und es ist viel zum Aufräumen, alles zu desinfizieren, alles aufzufüllen. Der Kick ist weg. Wir reden normal beim reanimieren, es wird über Essen, Autos und Frauen geredet. Und über den Patienten. Ich möchte gar nicht wissen, ob er auch nur ein kleines bisschen davon mitbekommt. Die Rea geht, die Arbeit kommt. 


Wasserstrahlen.





Alles nur gespielt.



Kinder stellen Fragen. Fragenstellen ist gut für Kinder. Schließlich sollten sie irgendwann mal schlau werden. Wenn Kinder im Rettungswagen Fragen stellen ist das eine Ausnahmesituation. Warum ist die Trage orange und das Gerät hier an der Wand auch? Was ist das für ein Gerät? (Erkläre mal kindergerecht einen Oxylogen.) Warum hast du Handschuhe an und warum sind die blau? Und was ist das? Ich blicke auf den Defi, damit kann man Blutdruck, Frequenz und die Sauerstoffsättigung messen, 12er EKG schreiben, Herzrhythmusanalysen starten, kardiovertieren, schocken. (Ein kleines Kind wird keinen der Begriffe kennen.) 
Ich erkläre alles sehr einfach, habe beim Sprechen das Gefühl, der deutschen Sprache nicht mehr mächtig zu sein. Um 3 Uhr nachts ist mein Wortschatz sowieso schon äußerst eingeschränkt oder von Vorn herein auf Suffimodus eingestellt. Nach 10 Minuten Fahrt blickt sich Melissa noch einmal genau um:
„Hier kann man sicher gut spielen!“

Samstag, 16. Juli 2011

Lichtorgie.







Für unsere außerirdisch kranken Mitbürger des Märkischen Viertels ab sofort nur das Beste!!

Unser neuer Rettungsschlitten scheint einer fernen Galaxie zu entstammen. Von außen könnte er geschwungener und windschnittiger kaum sein und blaue Blitze folgen uns durch die Straßen. Öffnet man die Türe und blickt hinein, könnte man sich in einer Einraumdisco wiederfinden. Eine reinste Lichtorgie ist das. Der Fußboden gleicht eher dem eines Swimmingpools aber es lässt sich sicherlich eine gute Poolparty darin feiern.
Wenn es Pink gibt, dann fahren wir auch in pink.
Ich unterdrücke meine Aggressionen, die sich nach vierstündigem Pink langsam aber sicher ansammeln. Frau Bauch ist in der 33. Woche schwanger und hatte möglicherweise einen Blasensprung. Verängstigt liegt sie auf der Trage, ihre Mutter sitzt am Kopfende. „Frau Bauch, wissen Sie, ob es ein Junge oder ein Mädchen wird?“ „Es wird ein Junge.“ Ich muss schnell reagieren, wozu haben wir hier diesen Schnickschnack. „Uh! Dann muss ich mal eben die Farbe hier ändern!“ Ich stehe auf und ändere die Beleuchtung von Rosarot zu Bubenblau. „So muss das sein!“ 
Sie blicken sich gegenseitig in blaue Gesichter und stellen keine weiteren Fragen. Gefressen!!


Freitag, 15. Juli 2011

Vom Sofa in den Kühlschrank.



Es ist 2 Uhr nachts. Alles wie immer heute, das selbe Licht, die selbe Ruhe, hier hinten im Rettungswagen. Ich gähne, blicke auf die Trage. Sonst sehe ich ab und zu auf den Brustkorb des Patienten. Heute ist es anders, ein anderes Licht, eine andere Ruhe. Der Schweiß auf meinem Rücken ist gerade wieder am trocken, ich wische den Dreck von meinen Knien. 
Sein Gesicht hatte vorhin noch alle Farben. Erst blau, dann rot, dann rosig, dann blau. Jetzt ist es weiß. Ein Patient, mit dem ich nicht geredet habe. 
Ich blicke auf die vielen Kabel, Spritzen, Monitore. Nichts zu überwachen, ich habe vorhin auf aus gedrückt, vorsichtig die Fast Patches von seiner Brust abgezogen. Er hat die Augen geschlossen. Ich atme tief durch die Nase ein, nein, es riecht nicht anders. 
An der Rettungsstelle angekommen steige ich erst einmal aus. Alle steigen aus. Der Kollege zieht die Trage aus dem Wagen. Und jetzt? Jetzt ziehen wir ihm die Decke auch übers Gesicht. 
Wir schieben ihn schnell. Durch die Notaufnahme, an der Intensivstation vorbei, durch einen langen Flur bis zum Schild der Pathologie. Vom Sofa in den Kühlschrank. Das ganze innerhalb einer Stunde. 
Es ist tatsächlich kalt. Ich denke noch kurz nach, was ich denn gerade so fühle, ich fühle nichts, also halte ich mich an der Trage fest und fahre mit hinein. 
Füße, Füße, Füße. Die Neugier schlägt die Angst und so laufe ich an den Baren entlang. Schreite viele Zehen ab.
Und dann geht das Licht aus.
Ich schreie. Drehe mich um. Reflexstreifen rennen Richtung Ausgang. Ich nehme meine Beine unter die Arme und laufe so schnell ich kann. Am liebsten hätte ich ihm in die Fresse geschlagen. 
Abgeschlagen sitze ich hinten auf der Stoßstange des Rettungswagen und beiße auf einem Plastikbecher herum. Er war 75 Jahre alt. Genau wie mein Vater. Das ist der Gedanke, der bleibt.



Mittwoch, 13. Juli 2011









Ich werde noch einmal studieren. 
Mit Herzblut. 
Werde nicht mein Leben lang Menschen tragen,
aus der Scheiße holen oder
in ein Leben zurückschießen,
das sie nicht mehr glücklich macht.
Ich glaube, das macht mich glücklich.





Running Gag der Nacht.

Karla hängt kotzend über der Klobrille. Die Haarspitzen berühren den Wasserspiegel, ihre Ellenbogen stützen sie ein wenig. „Karla, sieh mich an!“ Karla sieht mich nicht an. Ich packe sie an den Schultern, ihr Kopf wackelt, fällt unsanft gegen die Wand. „Karla, mach‘ die Augen auf!“, jetzt schon ein bisschen lauter und bestimmter. Dann anders. Ich reibe kurzerhand mit meiner Faust auf ihrem Brustbein auf und ab und schon sind die Augen offen. Ich lasse sie sich noch zweimal übergeben. „Karla, auf geht‘s, arbeite mal ein bisschen mit.“ Keine Faxen jetzt um drei Uhr nachts. 
„Ein bisschen mehr Anteilnahme, bitte.“ Ihre Tante steht im Türrahmen. 




Schleichend.



Meine Turnschuhe tragen das selbe Weiß wie meine Kleidung. Ich sehe klar aus. Alle sehen gleich aus. Nur meine Schuhe quietschen ab und zu. Ich habe nicht so tolle Pseudoschaumsstoffkrokodilschuhe.
Die Patienten schlafen. Und da sie immer schlafen, nie aufwachen, ist es immer dunkel. Man hört nur ihr Atmen, die Maschine, die sie atmen lässt. Ich mag diese Station nicht. Mich stört nicht das „konservativ“ im Namen, alles nur Halbtote. Hier auf der Intensivstation. Intensive Pflege, wenig Leben. Würde man den ein oder anderen Schlauch kappen, wäre die Luft nicht nur knapp sondern schlichtweg weg. 
Eine Leiche zum Frühstück, zwei weitere werden folgen. Es ist eher ein Endlich als ein Traurig. Ich male in den Kurven herum, mein Stift hat nicht umsonst vier verschiedene Farben. 
Viele sind steif. Ich drehe sie wie ein Brett von rechts nach links. Zum Furzen reicht es aber noch. Ich unterdrücke den Ekel und appelliere an meine Achtung vor dem Menschen. 
Seit Wochen war ich nicht mehr so schlecht gelaunt. 
Ein Patient hat Besuch. Im gelben Gewand steht eine Frau an seinem Bett. Ich schreibe gelangweilt, kaugummikauend die Werte des Bettnachbarn auf. 
Sie erzählt ihm von ihrem Tag, von den Vögeln draußen. Von den Fortschritten seines Enkelkindes, von dem Leben ohne ihn. Ohne eine Reaktion seinerseits. Ohne eine Bewegung, einem Schmunzeln, einem Lachen. Er ist weit weg. Weit weg von einem gemeinsamen Leben. 
Ich trug das gelbe Gewand, vor acht Jahren. Streichelte über ein gelbes Gesicht. Versprach, hoffte, betete. Ich war mir sicher, er würde es schaffen. Die Kurve verschwimmt vor meinen Augen.
Seit Wochen habe ich nicht mehr so geweint.
Es ist ein Schleichen. Ich verlasse den Raum, sie bleibt noch zwei Stunden. Er ist die Leiche Nummer drei.


Dienstag, 12. Juli 2011

Was besser ist.



„Absichtliche Vergiftung“ steht auf dem Alarmzettel. Meine Quotenintox, nenne ich sie liebevoll. Ich ziehe das an. Menschen unter Drogeneinfluss, Menschen, die ohne Drogen irre werden oder irre sind, weil sie einfach auf einem Tripp sind. Und manche nehmen Tabletten, um danach nicht wieder die Augen aufzumachen. 
Hanna ist wunderschön. Trotz ihrer blauen Lippen, ihrem wahnsinnigen Blick. Sie steht vor mir, irgendwie schief, kippt. Ich halte sie fest, schiebe sie auf die Couch und setze mich. M fragt nach dem Medikament, das sie genommen hat. Ihr Freund hat den selben Blick. Eine Tablette Blablabla. Auf der Straße gekauft, keine Packungsbeilage. „Und wo ist die Tablette jetzt?“ fragt M. „Ja in meinem Arm!“ Jetzt guckt auch M seltsam. „Wollen Sie mich verarschen?“ Sie zeigt auf die Einstichstelle. „Mit Wasser aufgelöst und i.v. gespritzt.“ Aha. Ich sehe ihren Hals, eine Kette von roten Einstichstellen. Ihre Arme sind vernarbt. Eine absichtliche Verletzung reiht sich an die andere. „Mit geht‘s gut.“ Vor wenigen Minuten soll sie aber noch nach Luft japsend auf dem Boden gelegen haben. M telefoniert mit dem Giftnotruf. 
Neben mir schlängeln sich irgendwelche Würgeschlangen durch ihr Terrarium.
Sie möchte nicht mit. Und plötzlich mag uns ihr Freund auch nicht mehr in seiner Wohnung haben. Treppen runter und auf die Polizei warten. 
Wenige Minuten später sitze ich mit Hanna und ihrem Freund im Rettungswagen. Ein Polizist steht zwischen ihr und mir. Gut gebaut, Kampfhandschuhe (das klingt schön gefährlich) und einem ruhigen Blick. Mir würde nichts passieren. Hanna greift sich immer wieder in die Haare. „Warum tust du mir das an?“ Ihr Freund blickt auf den Boden. „Wo bekomme ich jetzt den Stoff her?“ Sie schlägt mit der geballten Faust um sich, gegen die Schubladen, tritt gegen die Trage. Der Polizist bewegt sich nicht. Sie schlägt weiter. Wir halten an, alle Türen gehen auf, Pol und M ermahnen Hanna, sie möge doch bitte nicht den Rettungswagen auseinander nehmen. Solle sie noch einmal um sich schlagen werde sie fixiert. 
Türen zu, weiter. Sie ballt die Faust, sieht mich an. Ich lehne mich zurück, alles gut. Ihre Faust landet in ihrem Gesicht, einmal, zweimal, dreimal, viermal.. ihr Freund blickt zu mir herüber. „Und das ist jetzt besser?“