Donnerstag, 22. September 2011

Ein Mitschrieb.

Hurra, hurra, der Papst vor'm Altar. Es folgt nun ein kurzer Mitschrieb der Liveübertragung des ARD's.


Wer nich in der Kirche bleibt, wird vergehen, wie eine Weintraube. Wir bringen dir den Kelch des Heiles, schenke uns Christi Blut - geil, Latein - jetzt und in Ewigkeit - ui, der alte Mann singt aber schaurig, Lalalalala - komm uns zu Hilfe mit deinem Erbarmen - was is mit den Armen - Jesus Christus kommt, und die Macht und die Herrlichkeit auch. Der Friede des Herrn sei jederzeit mit euch, YEAH, Friede, mein Segen - ist der Stuhl zu groß oder der Papst zu klein? Wer von diesem Brot isst, wird ewig leben - geil- oh nein, der Papst erstickt - hust, prust - 70.000 Oblaten, ui, unter den Empfängern ist ein Paar, das schon seit 25 Jahren verheiratet ist (bei RTL würde jetzt das Wort „gleichgeschlechtlich“ fallen) - oh, eine Trage, eine schwerkranke Frau, das is ja nett. Oh, die Malteser, im Auftrag des Herrn, toll! Und der Herr Wachleiter ist auch am Start. 80.000 Hostien wurden gebacken. Ey, vorhin waren es noch 70.000 - hört auf zu Knabbern, liebe Schäfchen, mir wird langweilig. Sicher hätten noch mehr Gläubige den Weg ins Stadion gefunden, aber aus Sicherheitsgründen.. - wo sind eigentlich die Demonstranten? Musste man - oh, der Dirigent heißt Harald Schmidt - musste man am Eingang nich nur seine Waffen sondern auch seine Meinung abgeben? La la la - Teleshoppingmusik. Die Frau am Mikro is bestimmt Katholikin, die weiß einfach so viel - oh, der Schmaus is vorbei - wieder in Stille irgendwas denken und verehren. STILLE MAAAAAN, halt den Mund Frau Mikrofon.. ich muss über was nachdenken ---------------------------------------------------- oh, eine E-Gitarre, der Papst is sowas von modern. Ich würde das Magentakleid tragen, das Grün ist zu gelbstichig. DER SEGEN.. sanctuuuuus und einmal Amen. Gehet hin in Frieden - jup. Jetzt ist es gleich vorbei. Winke, winke - haaaalt stopp! Was ist mit meinen Sünden? Ich war extra nicht auf Toilette!!! Da geht er dahin. Die Fösche laufen nun auch aus dem Stadion. 1,5 Stunden, hach, verflogen ist die Zeit. Vergeben? Niemals.

Montag, 19. September 2011

Ohne Worte.




Hängen lassen?






Narben sind hässlich. Verschwinden nicht, erinnern. Erinnern an den Kampf mit einem Hai oder an den Einsatz im Krieg gegen das Böse. Oder einfach nur an einen Sturz. Und dann gibt es Narben, die sieht man nicht. Damit meine ich nicht den Psychokram, sondern Narben, die nicht zu sehen sind. Wie bei Steffi.

Steffi hat die Zeit vergessen. Die Zeit, als sie Jahr für Jahr in der Klinik lag. Angefangen hat das mit 16 Jahren. 
Man spaltet ihr den Oberkiefer. Er soll größer werden, der liebe Gott hatte bei Steffi gespart. Steffis Besuch im Krankenhaus steht kreidebleich vor ihr, während unbemerkt und unentwegt Blut aus der Nase läuft. Ihre einzige Sorge, die taube Zunge. Die Zunge kommt zurück, die Wangen erst, als die nächste Operation an die Türe klopft. Diesmal soll der Oberkiefer in Scheiben geschnitten und nach hinten gesetzt werden, und nach oben. Oberkiefer eben. Nach einer fünfstündigen Operation wacht sie auf der Intensivstation auf. Die Familie darf nach fünf Minuten gehen. Sie hat keinen Kopf dafür. Ihr gesamtes Gesicht ist umbunden, Schläuche aus Nase und Mund. Ihre Augen weit aufgerissen. Dann eine Woche geschlossen. Eine Woche des Wartens. Ihre beiden Kiefer passen nicht aufeinander. Es hatte während der Operation Komplikationen gegeben. Sie ist innerhalb weniger Minuten sehr stark angeschwollen. Liegt vielleicht daran, dass Steffi gegen Soja allergisch ist und die Narkose aus Propofol besteht. Das wiederum eine einzige Sojasuppe ist. Eine Woche später wartet sie auf eine Wiederholung der Operation. Ihr Mund ist mit Draht zugebunden, wird gleich wieder aufgerissen werden. Die Ärzte der anderen Kliniken streiken und so kommt sie erst gegen Mitternacht auf den Tisch. Sie verabschiedet sich von dem Leben.

Viele Monate kann sie nicht sprechen, mag nicht sprechen. Ihr Mund bleibt geschlossen. Sie lernt das Sprechen, das Darübersprechen.

Die vielen Schmerzmittel reißen ihr nicht nur an der Seele sondern auch an den Haaren. Einmal im Jahr ist Weihnachten, einmal im Jahr sieht Steffis Kopf aus wie eine kugelrunde, fette Christbaumkugel.
Nach der vierten Operation - Steffi wacht auf. Sie ist den ersten Tag wieder zuhause, möchte aufstehen, stürzt. Versucht sich aufzustellen, fällt. Ihr linkes Bein kann sie nicht tragen, die linke Hand nicht stützen. Sie versucht sich hinzustellen, fällt. Nach ein paar Minuten ist das Schauspiel vorbei.

Die Zeit heilt alle Wunden.

Sie blicke in den Spiegel, zeigt sich die Zähne. Ihr linker Mundwinkel zieht sich nach unten, der rechte lacht. Armdrücken kann sie nur mit rechts, der linke Arm ist lächerlich schwach. Wer macht sich schon einen Kopf, warum das so ist.

Die Nase spürt sie wieder, ihre Lippen sind aufgetaut, die Partie unter dem linken Auge ebenfalls.
Nur ihr Mundwinkel schweigt.

Marzipan lächelt. Und wenn man genauer hinsieht, lächelt jeder Mundwinkel für sich alleine. Der eine mehr, der eine weniger.


Montag, 12. September 2011

Lebensfreunde.

















Schwesterherzen.



Um 20 Uhr sind wir mit Mama und Papa verabredet. Berlin hat 3 Mio. Einwohner und zwei davon steuern auf die Landsberger Allee zu. Ich sitze in der Ringbahn, schlecht gelaunt wie immer. Menschen riechen nicht gut. Nicht so viele auf einmal. Und nicht, wenn es draußen dunkel ist. Ich blicke aus dem Fenster, vielleicht sehe ich Schwesterherz zufällig beim Einsteigen. Vielleicht kommt sie aus dem Prenzlberg von der Arbeit. Kein Schwesterherz zu sehen, ich blicke auf mein Handy. Ich werde ihr schreiben, dass ich gleich am Zielbahnhof bin. Ihr Foto blinkt auf, ich nehme ihren Anruf entgegen. „Hey, ich wollte dir gerade..!“ Die S-Bahn Türe schließt sich, ich höre das Tuuut Tuuuut Tuuuuut. Ich blicke auf die Türe, in meinem Ohr das selbe Tuten. „Ebbie, ich höre das selbe...!“ Sie: „Maya, ich hör dich ganz schön nah an meinem...“ Plötzlich fasst eine Hand von hinten an meine Schulter. Der Schreck ist groß, der Anblick riesig. Rücken an Rücken mit Schwesterherz. Ich lache laut, sie lacht, ich lache, sie lacht, ich lache, sie lacht, die Fahrgäste um uns herum lachen. „Bist du bescheuert, mich so zu erschrecken?“ Sie schüttelt sich vor Lachen. Sie hatte mich nicht gesehen. Keiner wird uns diese Geschichte glauben.