Dienstag, 12. April 2011

Kalt, kälter..





Es riecht nach Sommer, nach Leben und Erleben. Die Vögel stecken ihre Schnäbel noch ins Federkleid, ich steuere Richtung Sonnenaufgang. Ein Blick nach links Richtung Alex, ein Fahrradfahrer weicht mir aus. Klingeling. Schritte größer, Tempo anziehen, Gedanken mal eben ausschalten, Turbo an und ab in die Bahn. Meine Augen haben sich an einem Plakat eines Forschungsinstituts festgesehen. Irgendwas von Depressionen steht dort geschrieben. Heute lese ich nicht, blicke in geschwungenes Schwarz. 
Arbeitskleidung an, die obligatorischen Big Red Zimtgeschmackdosis dank Thommys Kaugummivorrats einwerfen, Auto checken und auf die Dinge warten, die da warten, geschehen zu können. 
Piep Piep.
Der Alarmzettel kündigt eine womöglich leblose Person an.
Der Gang ist lang. Haben Sie uns gerufen? Kommen Sie herein. Wir sind uns nicht sicher, ob sie tot ist, aber es spricht einiges dafür. Zwei alte Tantchen, sie reden sich den Schock von der Seele. Ein altes Telefon, ein hässlich grüner Teppichboden. Einmal rechts rum und da liegt sie. Im Sessel eingesunken, Gestank. Ein schwarzer Pudel liegt neben dem Sofa, ein kleiner Mann mit einem winzigem Hund und Kugelbauch, starrt. Als warte er auf den Bus. 
Ihr Gesicht ist mit einem Küchenhandtuch abgedeckt. Wohl doch sicher, dass sie tot ist, nä? Denke ich. Kollege B zieht das Handtuch weg, viele kleine schwarze Flecken ziehen sich über Nase und Mund. Bewegen sich, fliegen. Fliegen!! Die Leichenstarre hat bereits eingesetzt, löst sich womöglich gerade wieder. Check‘ mal die Pupillen. Ich ziehe den Reißverschluss meiner Jacke noch ein bisschen höher, verstecke meine Nase darin und schreite an die Person heran. Handtuch wieder weg, am besten, du wischst die Fliegen gleich mit weg. Blut, Erbrochenes, irgendetwas klebt an Mund und Hals. Laute Stimmen dringen aus dem Flur. Wo hat sie denn das Geld? Sie hat doch alles gespart. Vielleicht hat sie es ja in einer Box? Ich höre eine Schublade. Worüber rege ich mich hier auf. Dass sie ununterbrochen reden, wo doch der Rest schweigt? Weil sie über das Geld reden? Schubladen bitte zulassen. Die Kripo kommt gleich, nichts verändern. Mit der Pupillenleuchte bewaffnet (Maria, sie ist tot, da reagiert nichts, hätte ich mir sparen können) schreite ich an sie heran. 
Ich fasse mit der Hand den Kopf, die Stirn, und erschrecke. Was ich fühle ist kalt. Eiskalt. Ich fasse hier gerade keinen Menschen an. Kein Leben, keine Wärme, keine Falte. Vielleicht habe ich gezittert. Ich ziehe ihr Augenlied nach oben, eindeutig entrundet, kein Schwarz, keine Augenfarbe zu erkennen. Schnell die Hand weg. Das Auge bleibt offen. Schnell wieder zu. Das versteht man also unter Augen zudrücken. Scheiß auf die Sardellenwitze. Mir ist kalt. Ich decke Frau W mit einer Decke zu. Bedecke nicht nur ihren Körper sondern auch ihr Gesicht. Übergabe an die Polizei, auf Wiedersehen, kein auf Wiedersehen.
Ich sitze in der Sonne auf dem Hof der Wache. Meine erste Leiche im Rettungsdienst, der erste kalte Mensch. Viele weitere werden folgen, aber kälter wirds nicht. Das beruhigt mich. 



Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen